Neulich war Emma – so nenne ich sie mal – zu einem Coaching bei mir.
Mir fällt gleich auf, dass Emma ziemlich hibbelig ist und da legt sie auch schon los: „Also eigentlich wollte ich heute ja etwas ganz anderes mit dir besprechen. Aber ich bin immer noch auf 180! Heute Nachmittag habe ich mit meinem Freund eine Corona-Beitrag im Fernsehen geguckt und jetzt bin ich fix und fertig. Das kann ja wohl alles nicht wahr sein…“
Ich unterbreche Emma in ihrem Redefluss und bitte sie, doch einmal den Gedanken zu formulieren, der sie so gestresst hat.
Nach einigem Überlegen sagt sie: „Corona macht mein Leben unnötig kompliziert“.
Ich frage Emma: „Ist das wahr, dass Corona dein Leben unnötig kompliziert macht?“
Emma antwortet: „Ja, na klar!“
„Kannst du mit absoluter Sicherheit wissen, dass dieser Gedanke wahr ist?“
„Absolut – Corona ist definitiv schuld, dass es mir so schlecht geht!“
Damit sind wir schon mitten im Prozess.
Bei meiner Frage: „Wie reagierst du, wenn du diesen Gedanken glaubst?“ springt mir ein Satz von Emma besonders ins Auge: „Das Leben ist eh schon kompliziert“.
Das Leben ist eh schon kompliziert
„Aha“ denke ich bei mir. Das ist ja interessant.
Noch spannender wird es, als ich sie frage, ob es einen Grund für sie gibt, an dem stressigen Gedanken „Corona macht mein Leben unnötig kompliziert“ festzuhalten.
Jetzt überlegt Emma angestrengt. Nach einer Weile guckt sie mich von unten an und sagt ganz leise mit fragendem Unterton: „Weil ich mir ansonsten vielleicht eingestehen müsste, dass gar nicht Corona an allem schuld ist, sondern meine Gedanken darüber?!“
Als sich Emma mental in die Situation am Fernseher versetzt – ohne den Gedanken „Corona macht mein Leben unnötig kompliziert“ – heitert sie schnell auf. „Wieso gucke ich mir überhaupt so einen Blödsinn an?“ fragt sie sich selber. Dann etwas trauriger: „Ich spüre eher Mitgefühl mit anderen Menschen, die es richtig hart getroffen hat, wie meine Cousine, die schwer an Corona erkrankt ist“.
Als wir uns die Umkehrung ihres stressigen Gedankens zu sich selbst ansehen wollen: „Ich mache mein Leben unnötig kompliziert“, da lacht Laura ganz plötzlich laut auf.
Aber es ist eher ein verzweifeltes Lachen, das ihr Tränen in die Augen treibt.
Ich mache mir mein Leben unnötig kompliziert
„Das ist ja so was von wahr!!“ murmelt sie.

Und dann erzählt sie mir von ihren -zig Haftnotizzetteln, die sie überall verteilt hat und nach denen sie ihr Leben zwanghaft ausrichtet. Und dass sie seit kurzem weniger arbeitet, aber gar nicht weiß, was sie mit der freien Zeit anstellen soll. Dass sie nicht in der Lage ist, Leerraum zuzulassen – geschweige denn, ihn zu genießen. Ständig hat sie das Gefühl, etwas zu verpassen oder etwas Wichtiges zu vergessen.
Ihr Freund meinte letztens schon zu ihr: „In deinem Kopf möchte ich nicht wohnen“.
Ich frage sie, welchen Ratschlag sie denn für sich selbst hätte.
„Naja, vielleicht könnte ich das ja mal ausprobieren. Einfach „nichts“ tun. Zur Ruhe kommen“.
Ich spüre, wie schwer ihr schon der Gedanke daran fällt.
Deshalb schlage ich Emma vor, das Ganze einfach als Gedanken-Experiment zu betrachten. Sie könne sich ja heute Abend mal in Ruhe den Spaß machen und sich „rein hypothetisch“ vorstellen, wie ihr Leben ohne bunte Klebezettel und dauerndes Gehetze wäre.

Ich baue ihr eine Brücke: „Du musst es ja nicht umsetzen. Du kannst danach gerne genauso weitermachen wie bisher. Aber probieren kannst du es ja mal“.
Damit verabschieden wir uns.
Fast schon ein Hollywood-Ende
Um 21:37 Uhr erreicht mich eine Sprachnachricht von Emma:
„Du wirst es nicht glauben! Ich glaube es selbst noch nicht so richtig. Ich hab´s jetzt getan! Ich hab alle meine Klebis zu Hause abgerissen und feierlich verbrannt. Das war ganz schön hart. Ständig schrie eine Stimme in mir: „Ich muss doch aber…“. Doch gleichzeitig hab ich das Gefühl, dass ich jetzt das erste Mal seit ewigen Zeiten wieder in der Lage bin, zu gestalten“.
Corona macht mein Leben unnötig kompliziert.
Ist das wahr?

Maik Richter